Zu ihrer letzten Exkursion im Jahr 2022 machten sich 28 Mitglieder und Gäste des Vereins für Heimatkunde am Sonntag, dem 4.12.2022, auf den Weg in die SchUM-Stadt Worms. Ziel des Adventsausflugs war es, die jüdische Geschichte der Stadt hautnah zu erkunden: Judenviertel, Synagoge und jüdischer Friedhof waren die Lokationen, die unter der sachkundigen Führung von Eva-Maria Listmann angesteuert wurden. Die Organisation der Fahrt hatten kurzfristig Petra und Hermann Kiefer für den erkrankten Vereinsvorsitzenden, Dr. Michael Vesper, übernommen. Schon auf der kurzen Fahrt von Bad Kreuznach über die A 61 hatte Petra Kiefer das erste Ziel der Exkursion, das Raschi-Tor anmoderiert und die historischen Hintergründe des berühmten jüdischen Talmud-Gelehrten erläutert, der als Namensgeber für das Tor fungiert.
Vom Raschi-Tor aus ging es durch die Judengasse, deren Häuser entlang der Stadtmauer gebaut und zum Teil sogar in diese integriert wurden, zur Synagoge. Die wechselvolle Geschichte des Bauwerks, das heute der jüdischen Gemeinde Mainz gehört, lässt sich bis in das Jahr 1034 zurückverfolgen. Die ersten Zerstörungen erfolgten bereits zur Zeit der Kreuzzüge im 11. und 12. Jahrhundert. Die Synagoge wurde im 12. und 13. Jahrhundert um die Frauenschul und das Reinigungsbad Mikwe zu einem bekannten Zentrum des jüdischen Glaubens erweitert. Nach den Zerstörungen der Nazi-Herrschaft wurde die Synagoge ab 1957 wieder aufgebaut; zum Teil nutzte man noch gut erhaltene Fragmente, die man aus den Trümmern bergen konnte. Das Hauptgebäude besteht aus zwei Schiffen, die auf zwei Säulen ruhen. Der Toraschrein ist in einer Apsis untergebracht. Die Frauensynagoge wurde im Norden angebaut und war früher nur über ein kleines Fenster mit dem Hauptgebäude verbunden. In der heutigen Form ist die trennende Wand zwischen den Gebäuden seit 1842 völlig zurückgebaut.
Viele Details des jüdischen Brauchtums im Wandel der Zeit erläuterte Eva-Maria Listmann: Nur wenn sich zehn Männer zum Gottesdienst einfinden, darf die Tora gelesen werden. 1877 wurde aufgrund liberaler Strömungen im jüdischen Glauben eine Orgel für die Wormser Synagoge angeschafft. Da die Orgel in den Augen konservativer Juden ein zutiefst christliches Instrument ist, spaltete sich die Wormser Gemeinde in die sog. Örgler und die Nörgler. Die orthodoxen Juden errichteten gegenüber dem Synagogengebäude ein eigenes, in dem sie ihrem Glauben nachgingen. Die sog. Levysche Synagoge, benannt nach ihrem Stifter dem Kaufmann und Bankier Leopold Levy, entstand auf dem Grundstück Judengasse 29, wo Levy ein Lagerhaus für Feldfrüchte besaß. Zwar trennten sich die orthodoxen „Nörgler“ von den fortschrittlichen „Örglern“ in zwei getrennte Gruppen, allerdings änderte dies nichts daran, dass es weiterhin eine jüdische Gemeinde in Worms gab. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die zerstörte Levysche Synagoge nicht mehr aufgebaut und das Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut.
Auf dem Weg zum Judenfriedhof „Heiliger Sand“ erfuhr die Gruppe des Vereins für Heimatkunde weitere Erkenntnisse zur Judengasse: Im Hochmittelalter konnten Juden im gesamten Wormser Stadtgebiet wohnen; dies änderte sich nach dem Pestpogrom 1349. Ab diesem Zeitpunkt wohnten die Juden bis 1792 ausschließlich im Judenviertel, das mit mächtigen Toren vom Rest der Stadt getrennt war.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Wieder-Bebauung im Stil der damaligen Zeit vorgenommen. Erst ab den 1970er Jahren achtete man verstärkt darauf, den baulichen Charakter der Judengasse möglichst historisierend zu bewahren. Unter der modernen Bebauung liegen immer noch die Kellergewölbe aus dem 14. Jahrhundert, wie man durch archäologische Forschungen feststellen konnte.
Nach einem Fußmarsch von ca. 15 Minuten erreichten die Teilnehmer der Exkursion des Kreuznacher Heimatkundevereins den ältesten jüdischen Friedhof Europas, genannt „Heiliger Sand“, da er der Legende nach mit Sand aus dem Heiligen Land angelegt wurde. Die ältesten Grabsteine konnten auf das Jahr 1058 datiert werden. Die meisten Grabinschriften sind in hebräischer Sprache verfasst. Entgegen dem üblichen Brauch anderer jüdischer Friedhöfe, die Gräber nach Osten Richtung Jerusalem auszurichten, sind die Gräber in Worms nach Süden ausgerichtet. Warum dies so praktiziert wurde, ist bis heute nicht geklärt. Auf dem Wormser Friedhof sind zahlreiche berühmte Gelehrte des Judentums beigesetzt. Das Grab des Rabi Meir von Rothenburg z. B. wird jedes Jahr von zahlreichen Gläubigen aufgesucht. Er wirkte als Gelehrter in Rothenburg und wollte 1286 nach Palästina auswandern. Ursache war eine hohe Steuer, die König Rudolf I. den jüdischen Gemeinden auferlegte. Rabi Meir wurde verhaftet und von Rudolf I. eingekerkert. Die Zahlung eines Lösegelds durch wohlhabende Juden lehnte Rabi Meir ab, da er keinen Präzedenzfall schaffen wollte und so starb er 1293 in Gefangenschaft. Erst 1307 konnten seine Gebeine gegen Zahlung eines Lösegelds von 20.000 Pfund Silber ausgelöst und nach Worms überführt werden.
Gegen 16 Uhr des zweiten Adventssonntags war der organisierte Teil der Exkursion des Kreuznacher Heimatkundevereins zu Ende und alle Teilnehmer waren sich darin einig, dass die Expertin für die jüdische Geschichte der Stadt Worms, Eva-Maria Listmann, einen sehr informativen und spannenden Vortrag dargeboten hatte und so gab es langanhaltenden Applaus aller Teilnehmer. Im Anschluss bot sich noch die Gelegenheit, den Wormser Dom und den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Gegen 18 Uhr trat die Gruppe die Heimreise nach Bad Kreuznach an.