Heute vor 100 Jahren scheiterte der Münchner Putschversuch einer konservativ-reaktionären, demokratiefeindlichen und vorgeblich kaisertreuen Gruppe unter Führung des Weltkriegsgenerals Erich Ludendorff und des Österreichers Adolf Hitler. 15 Jahre später drückte dieser, dann deutscher Reichskanzler und „Führer“, den „Startknopf“ zur brutalsten und verheerendsten Verfolgung einer monotheistischen Religionsgemeinschaft seit den Pogromen an der jüdischen Bevölkerung im 14. Jahrhundert, über die heute wieder eingehend und eindringlich in Gedenkveranstaltungen und Medien berichtet wird.
Was passierte vor 100 Jahren in Kreuznach (Bad wurde die Stadt rechtlich korrekt erst ein Jahr später)? Im November 1923 bestimmte die Auseinandersetzung zwischen Reichsgewalt, Separatisten und den politischen Parteien vor Ort das Tagesgeschäft. Sieben Personen, darunter der Oberbürgermeister Dr. Fischer, wurden am 7. November aus dem französisch besetzten Gebiet ausgewiesen, die Separatisten bemächtigten sich der städtischen Geldnotenpresse und druckten nun eifrig neues Geld, das anzunehmen den Banken von der Besatzungsmacht befohlen wurde. Von den Nachrichtenagenturen und Redaktionen – die Nachrichten gingen durchs ganze Reichsgebiet – wird hier in Ermanglung eines Online-Angebots einer lokalen Kreuznacher Zeitungsausgabe als Beispiel für eine lokale Tageszeitung die Meldung der Annener Zeitung für Witten-Annen vom 07.11.1923) zitiert. Dort heißt es unter der Schlagzeile „Ein Skandal“:
… Die Separatisten haben sich in Kreuznach der dortigen städtischen Notgelddruckerei bemächtigt und lassen bedeutende Summen Notgeld täglich drucken. Der Kreisdelegierte der interalliierten Kommission hat angeordnet, daß die Privatbanken dieses Geld einlösen. Er hat ferner die Beamten der Reichsbank unter Androhung von Freiheitsstrafen und Vermögenskonfiskationen gezwungen, das Notgeld gleichfalls anzunehmen. Es sind gestern allein bei der Reichsbank 6 bis 7000 Billionen eingelöst worden. Für die von den Sonderkündlern gedruckten Notgeldscheine sind in großem Umfange direkt oder nach vorherigem erzwungenem Umtausch gegen Reichsbanknoten Devisen in Saarbrücken und in Köln gekauft worden.
Man musste damals schon nicht Volkswirtschaft studiert haben, um zu erkennen, dass man täglich auf einem Pulverfass tanzte, das jederzeit explodieren konnte. Den Besatzungsmächten kam im Ruhrkampf dieser Separatismus jedenfalls sehr gelegen. Die Reichsbank schloss ihrerseits am 8. November die Filialen in Kreuznach und Kirn, um noch größeren Schaden zu verhindern.
Hinzu kam zum gleichen Tag eine Meldung aus dem Niederrheinischen Tageblatt am 9. November, die in den folgenden Tagen weite Kreise im reichsweiten Blätterwald schlug:
Kreuznach, 7. Nov. Eine erschreckende Feststellung, die die Not in Deutschland in grellstem Lichte zeigt, wurde an der städtischen Realschule in Kreuznach unter den Schülern gemacht. Bei einer ärztlichen Untersuchung zeigte sich, daß u.a. in einer Klasse nicht ein einziger Schüler vorgeführt wurde, der normal entwickelt war. Die Folgen der Unterernährung zeigten sich besonders in Gewicht, Knochenbau und Größe.
Zu diesem Zeitpunkt begann das sechste Nachkriegsjahr. Diese Probleme waren nur zwei Facetten der dunklen Seite der „goldenen Zwanziger“, über die ebenfalls gesprochen und geschrieben werden muss.